Coachingfall aus der Arztpraxis: Führungscoaching für leitende MPAs

Coachingfall aus der Arztpraxis: Führungscoaching für leitende MPAs

Coachingfall aus der Arztpraxis: Führungscoaching für leitende MPAs 1440 609 Sandra Limacher

Der Fall:

Eine MPA wurde von ihrem Vorge­set­zten zur lei­t­en­den MPA befördert. Er hat­te sie nicht ohne Grund aus­gewählt: Den Prax­isall­t­ag ken­nt sie seit Jahren, sie ist fre­undlich zu den Patien­ten, kann Pri­or­itäten set­zen, ver­ste­ht sich sehr gut mit dem Team, ist anerkan­nt und behält in Stress­si­t­u­a­tio­nen einen kühlen Kopf. Doch als ehe­ma­liges Team­mit­glied verun­sichert sie die neue Funk­tion. Deshalb kommt sie mit fol­gen­der Fragestel­lung ins Führungscoach­ing: «Wie kann ich die neue Funk­tion als lei­t­ende MPA so ausüben, dass ich führe und den­noch anerkan­nter Teil des Teams bleibe, um gemein­sam gute Erfolge zu erzie­len?»

Erste Analyse:

Die Beförderung zur lei­t­en­den MPA inner­halb des Teams wirft mehrere Fra­gen zu den The­men Führung und Kom­mu­nika­tion auf:

Führung: Wer sind die Team­mit­glieder? Wer nimmt welche Rolle mit welchen Ver­ant­wortlichkeit­en wahr? Was läuft gut, was ist verbesserungs­bedürftig? Wie möchte ich das Team in die Zukun­ft führen? Was brauche ich und was braucht das Team dafür?

Kom­mu­nika­tion: Wie funk­tion­iert die Kom­mu­nika­tion im Team und wie kann sie opti­miert wer­den? Was ist mein Beitrag? Was ist der Beitrag des Vorge­set­zten? Was ist der Beitrag des Teams?

Vorgehensweise im Coaching:

Im Führungscoach­ing schauen wir uns zunächst die Sit­u­a­tion im Team an. Wer sind die Team­play­er? Wie sind Rollen und Ver­ant­wortlichkeit­en geregelt? Wie ist die Grup­pen­dy­namik? Wie sind die Machtver­hält­nisse struk­turi­ert und wie funk­tion­iert die Zusam­me­nar­beit und die Kom­mu­nika­tion? Mith­il­fe ein­er Auf­stel­lung von Fig­uren lässt sich die Sit­u­a­tion schema­tisch visu­al­isieren, was eine Betra­ch­tung aus unter­schiedlichen Per­spek­tiv­en ermöglicht.

Zuerst nah­men wir das Team unter die Lupe. Dafür macht­en wir eine Tea­mauf­stel­lung, bei der wir jedes Team­mit­glied mit ein­er Fig­ur posi­tion­ierten und zueinan­der in Beziehung set­zten. Durch die Visu­al­isierung erkan­nte die lei­t­ende MPA die Zusam­men­hänge inner­halb des Teams, wiederkehrende Muster (unter­schwellige Kon­flik­te) und Beziehungskon­stel­la­tio­nen (Allianzen) kon­nten trans­par­ent gemacht wer­den. Auf Basis dieser Erken­nt­nisse erar­beit­eten wir Strate­gien und Mass­nah­men, um von der IST-Sit­u­a­tion zur gewün­scht­en SOLL-Sit­u­a­tion zu gelan­gen. Des Weit­eren legten wir den Fokus auf die Stärken jedes Team­mit­glieds und arbeit­eten her­aus, wie die lei­t­ende MPA diese Kom­pe­ten­zen im Team nutzen kon­nte. Ein­er­seits kon­nte sie so gezielt die Entwick­lung fördern, ander­er­seits auch ihre eigene Moti­va­tion erhöhen.

In einem zweit­en Schritt legte ich den Fokus auf die Rollen und Ver­ant­wortlichkeit­en im Team, nicht nur die der lei­t­en­den MPA, son­dern auch jene der anderen MPAs sowie die des Vorge­set­zten. Denn eine Rolle definiert sich durch die Summe sämtlich­er Erwartun­gen der unter­schiedlichen Anspruchs­grup­pen (MPA, Ärzte, Geschäfts­führer, Patien­ten etc.). Zen­tral waren in diesem Schritt Fra­gen, die Auf­schluss über die Erwartung­shal­tung der Beteiligten geben kön­nen:

  • Welche Erwartun­gen haben MPAs, Ärzte, Patien­ten und son­stige Anspruchsper­so­n­en an diese Rolle
  • Welche dieser Erwartun­gen «will ich erfüllen», «will ich zum Teil erfüllen» und «will ich nicht erfüllen»?

Durch diese Auf­stel­lung wurde der lei­t­en­den MPA bewusst, welche Erwartun­gen an eine solche Posi­tion herange­tra­gen wer­den – unab­hängig davon, wer sie bek­lei­det. Dadurch wurde ihr klar, dass es unre­al­is­tisch ist, allen Erwartun­gen gerecht zu wer­den, und dass diese unter­schiedlichen Erwartung­shal­tun­gen Ursache für Kon­flik­te sein kön­nen.

Anschliessend beschäftigten wir uns mit den bei­den Rollen «MPA» und «lei­t­ende MPA». Diese Abgren­zung ist wichtig, denn je nach Grösse der Arzt­prax­is agiert die lei­t­ende MPA auch im oper­a­tiv­en Tages­geschäft. Zielführend sowohl für die lei­t­ende MPA als auch für das Team ist eine klare Rol­len­dif­feren­zierung:

  • Wann habe ich «den Hut der lei­t­en­den MPA» an, wann jenen der MPA?
  • Wie äussert sich dieser «Hutwechsel»und wo gibt es Unter­schiede in Bezug auf Umge­bung, Ver­hal­ten, Fähigkeit­en und Werte?

Durch die Auf­stel­lung gelang es der lei­t­en­den MPA, Klarheit über ihre Rol­lengestal­tung und die der anderen Team­mit­glieder zu erhal­ten. Durch ver­schiedene Rol­len­spiele erkan­nte sie, in welchen Sit­u­a­tio­nen sie welchen «Hut» trägt. Dadurch erhielt sie Sicher­heit in ihrer Führungsrolle und als ver­längert­er Arm ihres Vorge­set­zten.

Auf­grund der Schilderun­gen erschien es mir in einem näch­sten Schritt sin­nvoll, die per­sön­liche Sit­u­a­tion der MPA in den Blick zu nehmen. Die MPA set­zte sich mit fol­gen­den Fra­gen auseinan­der, um Klarheit über die neue Aus­rich­tung zu gewin­nen:

  • Was ist mir wichtig?
  • Wo sehe ich pos­i­tive Entwick­lungsmöglichkeit­en?
  • Wo gibt es Stolper­steine?
  • Was kann mir und demTeam helfen, Stärken zu ent­fal­ten? Was bedeutet das für die Zusam­me­nar­beit?
  • Was sind meine Stärken und Schwächen?

Ergebnisse:

Die lei­t­ende MPA kam ursprünglich mit einem per­sön­lichen, ICH-bezo­ge­nen Anliegen ins Führungscoach­ing. Sie wollte für sich klären, wie sie das Team kom­pe­tent führen und sich als Führungskraft behaupten kon­nte. Durch die Auf­stel­lung der Team­si­t­u­a­tion und die Betra­ch­tung aus ver­schiede­nen Per­spek­tiv­en erhielt die lei­t­ende MPA einen über­ge­ord­neten Blick auf ihre Sit­u­a­tion als Führungskraft und kon­nte daraus notwendi­ge Schlüsse für die Rollen und Ver­ant­wortlichkeit­en im Team sowie für die Zusam­me­nar­beit und die Kom­mu­nika­tion ableit­en.

  • Die Erwartun­gen an ihre Funk­tion wur­den gek­lärt.
  • Sie erlangte ein Bewusst­sein für die Rol­len­dif­feren­zierung zwis­chen «MPA», «lei­t­en­der MPA» und Ärztin mit Hin­blick auf den Prax­isall­t­ag.
  • Sie erkan­nte, was ihr wichtig ist und wie sie Entschei­dun­gen trifft. Indem sie sich mit ihren Stärken und Schwächen auseinan­der­set­zte, gelang es ihr, sich bess­er abzu­gren­zen und bes­timmte Auf­gaben an Team­mit­glieder zu delegieren. Zudem ent­deck­te sie ihre neue Führungsauf­gabe als Lern­feld für die per­sön­liche Weit­er­en­twick­lung.
  • Durch das Führungscoach­ing erlangte sie mehr Sicher­heit und Selb­stver­trauen bezüglich ihrer Rolle als lei­t­ende MPA sowie als Team­mit­glied.

Transfer in den Praxisalltag:

Als beson­ders hil­fre­ich erwies sich die Abklärung der Erwartun­gen an die unter­schiedlichen Rollen. Die MPA kan­nte nun die Erwartun­gen an sich aus unter­schiedlichen Per­spek­tiv­en und kon­nte diese mit ihren eige­nen Erwartun­gen abgle­ichen. Dadurch kon­nte sie sich klar posi­tion­ieren und dies auch kom­mu­nizieren. Dies erle­ichterte ihr den Führungsall­t­ag und die Zusam­me­nar­beit im Team. Für die Posi­tion­ierung klärte sie unter anderem die Erwartun­gen des Prax­is­in­hab­ers ab, was ihr Rück­endeck­ung und Sicher­heit gab. Sie tauschen sich nun regelmäs­sig in Sitzun­gen aus, was den Infor­ma­tions­fluss pos­i­tiv bee­in­flusste und für eine gute Ver­trauens­ba­sis im gesamten Team sorgte. Da der lei­t­en­den MPA eine pro­duk­tive Koop­er­a­tion wichtig ist, bezog sie die Erwartun­gen, Wün­sche und Rück­mel­dun­gen aus dem Team in ihre Arbeit mit ein, wodurch auch die Zusam­me­nar­beit im Team ins­ge­samt verbessert wurde.

Fazit:

Führung ist eine Auf­gabe, die aus der Vogelper­spek­tive betra­chtet und erfol­gre­ich ges­teuert wer­den sollte. Sich zu sehr auf eine einzelne Per­sön­lichkeit und ihre eige­nen Befind­lichkeit­en zu konzen­tri­eren, führt nicht zum Ziel.

Fragen zum Fall an Sandra Limacher

Was sind die grössten Her­aus­forderun­gen ein­er lei­t­en­den MPA in der Führungsrolle?

Man ist nicht mehr gle­ichgestellt mit allen MPAs, son­dern übern­immt die Führung und Ver­ant­wor­tung für das gesamte Team, für das Funk­tion­ieren der Abläufe und der Zusam­me­nar­beit im Prax­isall­t­ag. Das bed­ingt eine engere Abstim­mung mit dem Prax­is­in­hab­er. Es kann bedeuten, dass man auch unan­genehme Entschei­dun­gen fällen muss, wodurch man sich unbe­liebt machen kann. Es braucht Selb­stver­trauen, Rück­endeck­ung vom Prax­is­in­hab­er, Mut, Aus­dauerund Durch­set­zungsver­mö­gen. Im Führungscoach­ing empfinde ich es als sehr wichtig, die Teamkon­stel­la­tion und die Erwartung­shal­tun­gen an die einzel­nen Rollen zu klären. Durch diese Gesamtschau ist es für die neue Führungskraft viel ein­fach­er, ihre eigene Rolle zu ver­ste­hen und den Führungsanspruch in die Hand zu nehmen – zum Wohle des Teams. Team­ab­stim­mungen, der Kom­mu­nika­tion im Team und mit dem Chef kommt eine beson­dere Bedeu­tung zu. Wenn alle am gle­ichen Strang ziehen, schafft das gemein­same Erfolge und Zufrieden­heit.

Wann emp­fiehlt sich ein Führungscoach­ing?

Grund­sät­zlich lohnt sich ein Führungscoach­ing immer. Man hat die Chance, sein Führungsver­hal­ten zu reflek­tieren, ver­schiedene Per­spek­tiv­en einzunehmen, das Team für Feed­backs einzubeziehen und sich zu verbessern. Auch wenn man an sein­er Per­sön­lichkeit­sen­twick­lung oder ein­er Stan­dortbes­tim­mung (Ist-Soll-Sit­u­a­tion) arbeit­et, macht ein Führungscoach­ing Sinn. Wenn sich die Kon­stel­la­tion im Team verän­dert oder man neu eine Führungsrolle übern­immt, kann ein Coach­ing dazu beitra­gen, in sein­er verän­derten Rolle gestärkt zu wer­den und einen frischen Blick von aussen zu erhal­ten

Wie hoch ist der Aufwand?

Je nach Aus­gangslage benöti­gen Kli­entin­nen und Klien­ten in ein­er der­ar­ti­gen Sit­u­a­tion etwa fünf bis sechs Coach­ingses­sions, um Klarheit zu erhal­ten, gestärkt zu sein und die Zukun­ft­saus­rich­tung aktiv in die Hand zu nehmen.

Dieser Artikel wurde pub­liziert im Ärztefach­magazin „Hausarzt Prax­is im Monat Jan­u­ar 2019“.

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